Kiosk Kultur

verfasst von Kerstin Deckers und Markus Nüsse

Kiosk zwischen Industrie und Alltag

Kioske begegnen uns tagtäglich im Alltag - und doch sind sie oftmals eher unscheinbar und unbeachtet. Dabei sind die sogenannten “Büdchen” oder “Trinkhallen”, wie sie im Ruhrgebiet bezeichnet werden, bereits seit vielen Jahren fester Bestandteil der Stadt und aus der Stadtkultur nicht wegzudenken.
Wie die Bezeichnung “Trinkhalle” bereits vermuten lässt, lag der Ursprung ihrer Funktion darin, Trinkwasser auszuschenken. Diese hängt eng mit der Ansiedlung der Schwerindustrie zu Zeiten der Industriellen Revolution zusammen. Im Laufe der Zeit transformierten sich die Kioske und erweiterten die Funktionen, das Warenangebot und Nutzungsansprüche stetig. Wie sich seine Entwicklung vollzogen hat wird anhand von Kiosk-Epochen aufgezeigt.

Zeitliche Einordnung der Kioskhistorie in Epochen

Die Kioskkultur ist ein dehnbarer Begriff und kann nicht allgemeingültig für jede Zeit gleich definiert werden. Sie zeigt zwar fließende Übergänge in ihrer Transformation, dennoch lassen sich verschiedene Schwerpunkte ablesen, welche nachfolgend in Epochen dargestellt sind.

Kioskkultur Epochen

Peter Fendi: Erzherzöge Franz Joseph, Ferdinand Max und Karl Ludwig beim Pavillon an der Meidlinger Vertiefung,Aquarell, um 1840; Archiv Schloss Arstetten, Niederösterreich.

Epoche 1: Erste Pavillons

Erste kioskartige Gebäude zeigten sich bereits vor hunderten Jahren in Form von privaten Pavillons, die von wohlhabenden Häusern betrieben wurden. Sie standen nicht dem öffentlichen Anbieten von Waren oder dem Konsum zur Verfügung, sondern wurden lediglich zur Freizeitnutzung in abgeschlossenen (Landschafts-) Gärten genutzt (vgl. Behrens, Lässer et. al., 2020: 9,11).

Gelsenkirchen Schalke mit Seltersbude; Anton Stankowski (Stankowski-Stiftung gGmbH)

Epoche 2: Seltersbuden

Die ersten öffentlichen Kioske sind zur Zeit der industriellen Revolution entstanden (ab ca. 1840). Insbesondere in den Industriestädten, wie dem Ruhrgebiet, dienten diese dazu, der Arbeiter*innenschaft Zugang zu gesundem und sauberem Mineralwasser zu ermöglichen. Zum damaligen Zeitpunkt war das Leitungswasser ungenießbar und oftmals verschmutzt und ungenießbar, weshalb alkoholische Getränke einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung hatten. Mit dem Einführen von öffentlichen Mineralwasserhäusschen, wie den “Seltersbuden”, wurde ein übermäßiger Konsum an Alkoholika vermieden und damit auch die häufig auftretenden Arbeitsunfälle in den Betrieben eingeschränkt (vgl. Osses, o.J.: 1).

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Großes Angebot an Zeitungen: An diesem Kiosk am Marställer Platz warb auch die „Kasseler Post“ um Leser. Die Zeitung ist eine der Vorgängerinnen der HNA. Die Aufnahme entstand nach 1932; Bastian Ludwig (HNA)

Epoche 3: Presse

Die Presse-Epoche lässt sich in etwa ab 1900 definieren. In dieser Zeit vollzogen sich bereits Transformationen im Sortiment, der Funktion sowie in der Betreiber*innenschaft der Kioske. Zunehmend unterhielten neben den Mineralwasseranbietern auch die Industriebetriebe selbst Büdchen. Damit erschlossen sich teils die Standorte der Buden unmittelbar auf dem Werksgelände (vgl. Osses, o.J.: 2). Darüber hinaus führten zudem Bergmanns- und Kriegsverwitwete sowie -versehrte die Büdchen. Der Betrieb diente ihrem Existenzerhalt, da durch die Arbeitsverhinderung oder Verlust des erwerbstätigen Mannes kein Verdienst für die Familie zur Verfügung stand (vgl. Redaktion (JB), 2020).

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Kiosk mit breitem Warenangebot am Bahnhof Wilhelmshöhe in Kassel; Eigene Aufnahme, 2021

Epoche 4: Kiosk-Boom

Weitere charakteristische Entwicklungen im Kiosk-Transformationsprozess folgten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Wirtschaftswunderjahren ab 1950. In dieser Phase kann von einem regelrechten “Kiosk-Boom” gesprochen werden (vgl. Osses, o.J.: 3).

In den 1960er Jahren folgten jedoch auch Schließungen von Schwerindustriebetrieben, welche Schließungen von Kiosken nach sich zogen. Denn durch den Wegfall der Arbeitsplätze gab es für diese in unmittelbarer Nähe keine Abnehmer*innen mehr (vgl. Osses, o.J.: 4).

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Telekommunikations-Kiosk an der Wolfhager Straße in Kassel; Eigene Aufnahme, 2021

Epoche 5: Rückgang der (Schwer-) Industrie

Ab den 1960er Jahren vollzog sich der flächendeckende (Schwer-) Industrierückgang. Dies hatte zur Folge, dass auch die Anzahl an Kiosken sank. Wie bereits in den 60er Jahren fehlten den Kiosken nun abermals die typischen Abnehmer*innen, weswegen eine weitere Funktionserweiterung vollzogen wurde (vgl. Redaktion (JB), 2020). Nun gab es an den Kiosken auch Lebensmittel, wie beispielsweise Dosensuppen, eingelegte Gurken und belegte Brötchen zu kaufen. Darüber hinaus fingen Kioske an, bedingt durch die gestiegene Nachfrage nach Kommunikation, Mobilfunkkarten zu vertreiben und Internetzugänge bereitzustellen (Redaktion (JB), 2020).

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Ehemaliger Kiosk mit heutiger Werbenutzung in Oberhausen; Eigene Aufnahme, 2021

Epoche 6: Rückgang der Nachfrage

Der Konkurrenzdruck verstärkte sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung zunehmends. Grund hierfür war die weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, nun neben den Tankstellen auch für Supermärkte. Dieser gestiegene Druck bedingte eine Welle an Schließungen, da die Nachfrage an die großen Einzelhändler mit ihrem breitem Warenangebot und den niedrigen Preisen verloren ging (vgl. Osses, o.J.: 4). Die Trinkhallen haben in dieser Zeit zudem einen Funktionsverlust erlitten, da die “typischen” Produkte wie Tabak, Alkohol, Süßigkeiten sowie Printmedien eine sinkende Nachfrage aufwiesen.

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Festivität am Husaren Grill am Hauptbahnhof in Kassel; Arno Apel, 2014

Epoche 7: “Kiosk-Kult 2.0”

Seit den 2010er Jahren entwickelte sich eine neue Welle des Aufschwungs, welche insbesondere an die alte Tradition der Trinkhallen anknüpft. Daher kann in diesem Zeitabschnitt von einer Epoche der “Kiosk-Kultur 2.0” gesprochen werden, die neu aufgeblüht ist.

Eine Studie aus Hannover zeigte, dass sich die Veränderung in der Betreiber*innenstruktur verdichtet hat, sodass gegenwärtig ~80% der Kioske von Zuwander*innen betrieben werden - aus dem Grund, den Lebensunterhalt für die Familie zu sichern (vgl. Burgwinkel, 2016).

Ein großer Wandel ist auch im Sortiment festzustellen. Die Kioske weiteten sich im Laufe der Zeit zu kleinen Imbissen aus, die Warmspeisen verkaufen - darunter z.B. Hot Dog, Currywurst und Burger (vgl. Wolf, 2014). Diese Imbisse eignen sich Orte an, welche nicht von herkömmlichen Gastronomien genutzt werden, und beleben diese Plätze (vgl. Behrens, Lässer et. al., 2020: 31).

Auch findet eine Transformation des Konsumverhaltens vieler Nutzer*innen statt: “Cornern”, welches sich im Laufe der Jahre auch in Deutschland etabliert hat, bezeichnet das “Vortrinken” am Kiosk. Dies betreiben insbesondere junge Erwachsene in der Nähe von Nacht- und Ausgehlocations. Sie nutzen dies dazu, an den Kiosken Getränke preisgünstig zu konsumieren, um dann bei den späteren Nachtclub- und Barbesuchen weniger kaufen zu müssen (vgl. Mayer, 2016).

Es zeigte sich, dass Kioske, Buden und Trinkhallen stetig Veränderungen ausgesetzt waren sowie Abhängigkeiten zur Industrie und zum Menschen hatten. Sie transformierten sich ständig, um die geänderten Ansprüche ihrer Nutzer*innen befriedigen zu können und somit ihre Daseinsexistenz zu sichern. Es bleibt abzuwarten, wie die Alltagsinfrastruktur Kiosk ihre Zukunft in einer immer schneller werdenden Welt im digitalen Zeitalter mit zurückgehender Schwerindustrie meistert.

Kioskkultur Definitionen

Die Kioskkultur hängt eng mit der Kioskgeschichte und den jeweiligen Nutzungsansprüchen zusammen und ist erstmals ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu vernehmen. Diese lässt sich grob in zwei Zeitabschnitte unterteilen.

Der erste Abschnitt gliedert die Zeit beginnend mit der Industrialisierung Europas bis zur Erweiterung des Warenangebots im 20. Jahrhundert. Dieser Abschnitt steht für die Bereitstellung von sauberem und gesundem Trinkwasser. Hierbei ist der zwangsläufige Besuch auf dem Arbeits- bzw. Heimweg charakteristisch. Die Trinkhallen sind hier insbesondere für die Arbeiter*innenschaft zugänglich.

Den zweiten Zeitabschnitt zeichnet der freizeitliche Besuch der Kioskstruktur aus. Dieser geht mit der Transformation zu einem Kleinstgeschäft einher, in dem man fortan auch Luxusgüter wie Alkohol und Tabakwaren sowie Waren für den täglichen Bedarf erstehen konnte und somit zu einem Konsumort für verschiedenste Nutzer*innengruppen wurde. Der freizeitliche Nutzungsaspekt findet in der Festivalisierung der Kioskkultur seinen Höhepunkt, der zusätzliche Bespielungen und Integrationen der Kulturszene in Kiosken inne hat.

Ein Seminar der Universität Kassel im Sommersemester 2021
Fachbereich 06 - Architektur, Stadtplanung Landschaftsplanung
Fachgebiet Stadterneuerung und Planungstheorie

Betreuung:
apl. Prof. Dr. habil. Harald Kegler
Dr. Wiebke Reinert

Quellen und Literatur
Teilnehmende

Charlie Bosch
Kerstin Deckers
Franziska Hedderich
Finja Kramer
Bastian Kuczera
Markus Nüsse
Myriam Pregizer
Theresa Reis
Johann Taillebois
Annika Wärncke