Industriegeschichte

verfasst von Bastian Kuczera
Quelle: Henschelmuseum e.V

Industrie in Kassel - von den Anfängen bis zur Gegenwart

Die Stadt Kassel hat eine lange und ausgeprägte Industriegeschichte von über 200 Jahren vorzuweisen. In diesen 200 Jahren kam es immer wieder zu starken Einschnitten, die die Industrie Kassels maßgeblich veränderten. Fester Bestandteil der Kassler Industrie ist bereits seit Mitte des 19 Jahrhunderts die Eisenbahnindustrie sowie die Rüstungsindustrie. Die Industriegeschichte prägt bis heute die Kassler Industrielandschaft. Nach wie vor ist die Rüstungsproduktion, als auch die Produktion von Zügen ein Teil der heutigen Industrie.

Residenzstadt Kassel

Zeitstrahl Residenzstadt Kassel

Die Stadt Kassel wird urkundlich erstmals im Jahr 913 n. Chr. erwähnt. Zu dieser Zeit herrscht der thüringische König Konrad I. über die Stadt. In Folge von Erbstreitigkeiten zwischen den Landgrafen wird Kassel Teil des hessischen Reiches (vgl. Feldner 2010:  5). Ab 1277 wird Kassel unter Landgraf Heinrich I. zur Residenzstadt des damaligen Hessen-Kassels. In den folgenden 600 Jahren ist Kassel Residenzstadt und nimmt eine zentrale Rolle als Hauptstadt ein (vgl. Feldner 2010:  10).

Unter den verschiedenen Landgrafen, die seitdem in Kassel residierten, wurden zahlreiche Bauwerke errichtet. Die bekanntesten Bauwerke, die auch heute noch bewundert werden können, sind unter anderem der Bergpark Wilhelmshöhe, die Karlsaue sowie der Friedrichsplatz. Durch diese und viele weitere Bauten prägten die Landgrafen die Entwicklung der Stadt maßgeblich und trugen zum stetigen Wachstum der Stadt über die Jahre bei (vgl. Feldner 2010:  42).

1803 wurde Kassel unter Landgraf Wilhelm I. zum Kurfürstentum. Diese besondere Ehre blieb dem Kurfürsten allerdings nur kurz vergönnt. Bereits nach einigen Jahren wurde Kassel durch Truppen Napoleons erobert, wodurch der Kurfürst fliehen musste. Erst durch die Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig wurde Kassel wieder zum Kurfürstentum und der Kurfürst kehrte nach Kassel zurück (vgl. Feldner 2010:  47ff).

Die gewonnenen Freiheiten, die unter der Herrschaft Napoleons eingeführt worden waren, wurden durch die Restauration letztlich wieder zurückgenommen. Trotz der negativen Einstellung des Kurfürsten gegenüber der Industrialisierung entwickelten sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Unternehmen, die Industrieprodukte fertigten. Mit Verzögerung setzte sich die Industrialisierung Kassels durch. Mit dem Bau einer ersten Eisenbahnlinie nahm insbesondere die Entwicklung der Lokomotiven in Kassel Fahrt auf. Vor allem das Unternehmen Henschel wurde zum Vorreiter der Eisenbahnproduktion (vgl. Feldner 2010:  57).

Von der Residenz- zur Industriestadt

Zeitstrahl Industrie- und Rüstungsgeschichte der Stadt Kassel

Mit der Annexion Hessen-Kassels im Jahr 1866 durch Preußen endete die Zeit der Kurfürsten in Kassel und der Grundstein für eine weitreichende Industrialisierung der Stadt und der Region wurde gelegt. Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung der Industrie in Kassel war die Firma Henschel. Nachdem bereits zu Zeiten der Landgrafen und Kurfürsten die ersten Gießereien erbaut wurden, begann 1848 der Eisenbahnbau in Kassel durch die Firma Henschel mit der ersten Dampflokomotive, dem sogenannten Drachen. Henschel fertigte in den darauffolgenden Jahren stetig mehr Dampflokomotiven und erhöhte fortan das Exportvolumen (vgl. Wörner-Heil 2004:  17).  Bis zum Jahr 1865 wurden 500 Lokomotiven ausgeliefert. Um die Jahrhundertwende wuchs die Produktion weiter stark an. Bereits 1910 wurde die 10.000. Henschellokomotive verkauft (vgl. Wörner-Heil 2004:  33ff).

Im Zuge dessen ließen sich viele weitere Zulieferunternehmen wie die Waggonbauer Wegmann und Co. sowie die Brüder Credé in Kassel nieder und die Stadt wurde zu einem wichtigen Standort für die Eisenbahnproduktion (vgl. Stadt Kassel O.J). Neben der Produktion von Dampflokomotiven waren auch andere Unternehmen Teil der Industrielandschaft Kassels. Insbesondere die Textilindustrie mit Unternehmen wie Salzmann, Gottschalk oder Aschrott prägten die Industrie der damaligen Zeit. Mit der zunehmenden Industrialisierung der Stadt stieg auch die Einwohnerzahl Kassels deutlich an. Zusätzlicher Wohnraum für die Arbeiter*innen und deren Familien entstand insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der Fabrikhallen (vgl. Feldner 2010:  64ff).

Auswirkungen der Industrialisierung auf die Stadtentwicklung

Im Gegensatz zur Stadtentwicklung und dem Stadtwachstum während der Zeit der Kurfürsten und Landgrafen wurde die Stadtentwicklung in dieser Zeit maßgeblich durch die Ansiedlung von Industrieunternehmen bestimmt. In der unmittelbaren Umgebung entstand der benötigte Wohnraum für die Arbeitnehmer*innen. Auf dem heutigen Areal der Universität waren Unternehmen wie Henschel, Wegmann und Co. sowie die Textilfabrik Gottschalk und Co. ansässig. In der unmittelbaren Umgebung der Fabriken entstanden in dieser Zeit Arbeiter*innenviertel, die schnell stark anwuchsen. Insbesondere das heutige Nordholland, Rothenditmold und Bettenhausen waren davon betroffen (vgl. Henschelmuseum e.V 2010b: 31).

Der Textilfabrikant Sigmund Aschrott war der Vorreiter bei der Erschließung des Vorderen Westens in Kassel. Nach einer Ausbildung zum Kolonialwarenhändler baute Sigmund Aschrott das Textilunternehmen seines Vaters zu einem Großkonzern aus. In den 1860er Jahren begann Aschrott damit, den westlichen Teil Kassels zu erschließen. Im heutigen Vorderen Westen ließ er vornehmlich repräsentative Wohngebäude errichten, die bereits damals äußerst beliebt waren. Diese Phase der Stadtentwicklung unterschied sich maßgeblich von der Entwicklung im nördlichen Teil der Stadt. Während bereits zur damaligen Zeit die wohlhabenden Bürger*innen im Westen der Stadt lebten, waren die engen Wohnungen in der Nordstadt den Arbeiter*innen und deren Familien vorbehalten (vgl. Kassel-West e.V).

Gießhaus Henschel
Henschel Drache
Quelle: Henschelmuseum e.V
Werksgelände Henschel
Quelle: Henschelmuseum e.V

Anfänge der Rüstungsproduktion in Kassel

Neben der Herstellung von Industrieprodukten wie Lokomotiven und Textilien ist Kassel bis heute ein wesentlicher Standort der Rüstungsindustrie. Die Rüstungsproduktion in Kassel begann schon zur Zeit der Landgrafen im Jahr 1799. Georg Christian Carl Henschel stellte neben Feuerspritzen und Glocken auch bereits erste Kanonen her (vgl. Feldner 2010:  58).

Insbesondere im Zuge des ersten Weltkrieges erreichte die Rüstungsproduktion neue Dimensionen. Die Firma Henschel, die durch das stetige Fortschreiten der Industrialisierung und die führende Position in der Produktion von Eisenbahnen mittlerweile der größte Arbeitgeber in der Stadt war, fertigte ab 1917 neben Lokomotiven, die für den Krieg ebenfalls von besonderer Bedeutung waren, auch Feldgeschütze in größerer Menge (vgl Henschelmuseum e.V 2010a: 31). Mit dem Ende des 1. Weltkriegs und der Demilitarisierung in der Weimarer Republik war die Rüstungsproduktion in Kassel zunächst gestoppt (vgl. Vollmer & Kulla 1994:  7).

Zeitstrahl Industrie in der Nachkriegszeit
Zeitstrahl Industrie Heute

Rüstungsproduktion im Nationalsozialismus

Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten stieg die Rüstungsproduktion im Deutschen Reich sprunghaft an. Auch Kassel blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. Bereits 1933 erhielt die Firma Henschel den Auftrag zur Produktion von Kettenfahrzeugen. Spätestens mit der Erweiterung der Wiederaufrüstung vor dem 2. Weltkrieg unter den Nationalsozialisten wurde die Firma Henschel zum größten Teil ein Rüstungsbetrieb. Die Firma Henschel produzierte insbesondere Kampfpanzer in Kooperation mit der Waggonbaufirma Wegmann & Co. (vgl. Vollmer & Kulla 1994:  77). Neben der Produktion von Panzern entwickelte die FirmaHenschel frühzeitig Flugzeuge. Mit der Henschel Flugmotoren GmbH wurde die Produktion von Kampfflugzeugen gestärkt. Die Produktion selbst fand in Berlin statt. In Zuge dessen wurde der Flughafen Schönefeld in Berlin errichtet. In Kassel wurden insbesondere die Flugmotoren in Altenbauna produziert (vgl. Vollmer & Kulla 1994:  84).

Nach Kriegsbeginn und dem Überfall der deutschen Truppen auf Polen stieg der Bedarf nach Rüstungsgütern und Arbeiter*innen in den Fabriken und in der Landwirtschaft. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Zwangsarbeiter*innen in den Rüstungsbetrieben der StadtKassel eingesetzt wurden. Eine Vielzahl der Industrieunternehmen in Kassel beteiligtesich an der Ausbeutung. Vor allem die Rüstungsunternehmen wie Fiesler, Wegman, Henschel und Junkers waren daran beteiligt. Allein in den Henschelwerken arbeiteten zwischenzeitlich 6000 Zwangsarbeiter*innen. In der unmittelbaren Nähe zu den Produktionsstätten wurden zahlreiche Arbeitslager errichtet. Große Lager entstanden insbesondere in Mattenberg in der Nähe der Henschel-Flugmotoren Gmbh in Altenbauna sowie in Nordholland und Fasanenhof (vgl. Mosch-Wicke 1985:  45). 

Den Alliierten blieb nicht verborgen, dass Kassel ein wesentlicher Standort der Rüstungsproduktion war. Bereits in den Jahren 1941 und 1942 wurden Luftangriffe auf die Stadt Kassel durchgeführt. Dabei blieb der Schaden meist relativ begrenzt. Dies änderte sich am 22.10.1943. Ein wesentliches Ziel dabei waren die Produktionsstandorte der Firma Henschel. Durch die Luftangriffe in der Nacht wurden 80% der Rüstungsbetriebe zerstört. Gleichwohl wurden bis Kriegsende und dem Einmarsch der Amerikaner weiterhin Rüstungsgüter produziert (vgl. Feldner 2010:  92).

Kassel nach dem Krieg

Zeitstrahl Kasseler Industrie in der Nachkriegszeit

Am Ende des 2. Weltkriegs war ein Großteil Kassels zerstört. Diese flächige Zerstörung ermöglichte einen Wiederaufbau, der wenig Rücksicht auf die alte Stadtstruktur nahm. Zahlreiche Baudenkmäler der Stadt wurden im Zuge der Bombenangriffe zerstört.  Eine Vielzahl davon wurde anschließend umständlich wiederaufgebaut. Im Geiste der Moderne wurde die Stadt nach der Vorstellung der autogerechten Stadt wiederaufgebaut. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel die Treppenstraße, die seitdem den Hauptbahnhof mit dem Friedrichsplatz verbindet. (vgl. Feldner 2010:  114).

Die Wirtschaftsstruktur der Stadt Kassel hat sich seit dem Beginn der Industrialisierung stark verändert. Ähnlich wie viele andere Städte in Deutschland ist Kassel zunehmend durch Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche geprägt. Insbesondere in den 1970er Jahren im Zuge der Ölpreiskrise fand eine Deindustrialisierung statt. Anfang der 1970er Jahre wurde des Weiteren die Gesamthochschule Kassel gegründet, an der mittlerweile über 25.000 Studierende eingeschrieben sind (vgl. Feldner 2010:  90).

Erst zu Beginn der 2000er Jahre entwickelte sich der Arbeitsmarkt in Kassel wieder positiv, sodass die Anzahl der Beschäftigten wieder ansteigt. Nichtsdestotrotz weist Kassel weiterhin eine große Anzahl an Industrieunternehmen auf, bei der sich die Bandbreite der produzierten Waren deutlich erweitert hat (vgl. Henschelmuseum 2010b:  11). Die Industriegeschichte Kassels ist bis heute präsent und prägt das Bild der Stadt. Dies ist unteranderem an den alten Industrieflächen zu erkennen, die heute zum Teil anderweitig genutzt werden. Das beste Beispiel ist die Universität Kassel, die heute auf dem alten Gelände der Henschelwerke am Holländischen Platz ansässig ist. Des Weiteren ist die Industriegeschichte auch weiterhin anhand verschiedener Unternehmen in Kassel erkennbar. Mit den Unternehmen KMW und Rheinmetall sind weiterhin Rüstungsbetriebe in Kassel ansässig, die die Bundeswehr beliefern. Ehemalige Industrieprodukte, die von Henschel produziert wurden, werden heute durch andere Unternehmen hergestellt. Anstelle von Henschel produziert heute Mercedes-Benz auf dem ehemaligen Gelände von Henschel LKWs und Achsen (vgl. Henschelmuseum 2010a:  10).

Auch die Fertigung von Eisenbahnen ist heute noch, trotz schwierigen Zeiten in Kassel zu finden. 2010 endet die Produktion des Transrapids durch Thyssen-Krupp (vgl. Henschelmuseum 2010a:  22). Nach zahlreichen verschiedenen Eigentümer*innen der Eisenbahnproduktion in Kassel liegt die Produktion mittlerweile seit 2021 in der Hand von Alstom. Somit sind sowohl die Produktion von Rüstungsgütern und die Produktion von Eisenbahnen weiterhin Bestandteil der Industrie Kassels. Die Industriegeschichte Kassels beeinflusst die heutige Industrielandschaft in Kassel maßgeblich (vgl. HNA 2021).

Kassel, Treppenstraße: Neubau
Quelle: Stadtarchiv Kassel, 0.535.649, Carl Eberth.
Transrapid
Quelle: Henschelmuseum Kassel e.V
Werkhalle Thyssen-Henschel
Quelle: Henschelmuseeum Kassel e.V
Ein Seminar der Universität Kassel im Sommersemester 2021
Fachbereich 06 - Architektur, Stadtplanung Landschaftsplanung
Fachgebiet Stadterneuerung und Planungstheorie

Betreuung:
apl. Prof. Dr. habil. Harald Kegler
Dr. Wiebke Reinert

Quellen und Literatur
Teilnehmende

Charlie Bosch
Kerstin Deckers
Franziska Hedderich
Finja Kramer
Bastian Kuczera
Markus Nüsse
Myriam Pregizer
Theresa Reis
Johann Taillebois
Annika Wärncke